Behandlungsmöglichkeiten depressiver Beschwerden (Teil 2) - Unipolare und bipolare depressive Erkrankungen
Die wichtigsten Säulen der Behandlung schwerer depressiver Krankheitsbilder sind die Pharmakotherapie (Medikamentenbehandlung) mit Antidepressiva und die Psychotherapie.1
Ausgeprägte depressive Zustände (seien es reine, sogenannte unipolare Depressionen oder auch bipolare Zustände mit Phasen von wechselndem Hochgefühl und Niedergeschlagenheit oder Depressionen mit wahnhaften Vorstellungen) bedürfen einer fachärztlichen Behandlung mit Psychopharmaka. Eine begleitende Psychotherapie ausgerichtet auf die individuellen Erscheinungsformen und Ausprägungen der Symptome kann in vielen Fällen den Behandlungserfolg verbessern und das Ergebnis stabilisieren.
Die unipolare endogene Depression, die psychotische Depression und die bipolare manisch-depressive Erkrankung sind schwere seelische Störungen und müssen von einem dafür spezialisierten Facharzt (Psychiater) behandelt werden. Die Arzneimitteltherapie mit Antidepressiva bzw. Antipsychotika (Neuroleptika) gilt inzwischen als unverzichtbares und wirksames Instrument. Aber auch psychotherapeutische Verfahren, allen voran die kognitive Verhaltenstherapie haben ihren festen Platz bei der Behandlung der Depression. Oft werden auch beide Therapieformen kombiniert.1,2
Hilfreich ist die Einteilung in 3 Behandlungsphasen3 :
Die Akuttherapie (bei schweren Depressionen, u.U. mit Selbstmordgefahr), die auch stationär erfolgen kann und notfalls sogar in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung stattfindet.
Die Erhaltungstherapie soll den dann erreichten Zustand stabilisieren, ggf. noch weiter verbessern.
Die Rückfall-(Rezidiv-) Prophylaxe ist sinnvoll für Betroffene mit wiederkehrenden (rezidivierenden) Depressionen. Sie soll verhindern, dass es zu einer weiteren depressiven Episode kommt.
Zur medikamentösen Behandlung und Vorbeugung von Depressionen, Panik- und Angststörungen, Zwängen sowie posttraumatischen Belastungsstörungen werden heute vor allem sogenannte Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI = Selective Serotonin Re-uptake Inhibitor) angewendet. Serotonin ist ein Botenstoff (Neurotransmitter) in der Signalübertragung von Nervenzelle zu Nervenzelle. Durch die Wiederaufnahmehemmung von Serotonin zurück in die abgebende Nervenzelle kann mehr Serotonin an die nächste Nervenzelle abgegeben werden und die Signalübertragung im zentralen Nervensystem verbessert sich.
Die entsprechenden Arzneimittel enthalten die Wirkstoffe Sertralin, Paroxetin, Citalopram bzw. Escitalopram, Fluoxetin oder Fluvoxamin.5
Die Wirkstoffe Venlafaxin, Milnacipran und Duloxetin sind sogenannte Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI = Selective Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor) und haben eine den SSRI ähnliche Wirkweise.4
Ältere Wirkstoffe wie Amitriptylin, Nortriptylin, Clomipramin, Doxepin, Imipramin oder Trimipramin werden als trizyklische Antidepressiva bezeichnet. Sie werden auch zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt.
Das tetrazyklische Mirtazapin ähnelt in seiner Wirkung den SSNRI. Es wird zur Behandlung von depressiven Episoden und off-label, gerade bei älteren Patienten häufig auch zur Behandlung von Schlafstörungen verordnet.
Der Vollständigkeit halber seien hier auch noch die seltener verordneten Monoaminoxidasehemmer (MAO-Hemmer) genannt: Diese Substanzen hemmen das Enzym Monoaminoxidase, einen Eiweißstoff, der am Abbau der Substanzen Noradrenalin und Serotonin beteiligt ist. Ein typischer MAO-Hemmer ist Moclobemid.
Insbesondere bei Behandlungsbeginn ist zu beachten, dass die stimmungsaufhellende Wirkung der Antidepressiva erst nach einigen Wochen spürbar einsetzt. Nebenwirkungen hingegen treten meist unmittelbar nach Einnahmebeginn auf, werden aber im Laufe der Einnahmedauer bald schwächer oder verschwinden sogar ganz. Wenn die depressive Situation es zulässt, empfiehlt es sich daher, mit einer niedrigen Dosis zu beginnen und diese langsam zu steigern, um das Risiko von Nebenwirkungen bei Behandlungsbeginn zu verringern.
Zu beachten ist ferner, dass die antriebssteigernde Wirkung der Antidepressiva meist vor der stimmungsaufhellenden Wirkung einsetzt. Patienten, die selbstmordgefährdet sind, können durch die einsetzende motorische Unruhe plötzlich in die Lage versetzt werden, handlungsfähig zu sein, und den geplanten Suizid tatsächlich ausführen. Patienten müssen daher vor allem anfangs in engem Austausch mit ihrem Therapeuten sein.
Außerdem besteht bei Kindern und Jugendlichen, die mit Antidepressiva (vor allem SSRI) behandelt werden, zu Beginn der Behandlung ein erhöhtes Selbstmordrisiko, selbst wenn sie zuvor keine Selbstmordgedanken hatten.
Antidepressiva machen nicht abhängig, aber sie dürfen nicht abrupt abgesetzt werden, sondern müssen behutsam durch langsame Verringerung der täglich einzunehmenden Dosis über etliche Tage „ausgeschlichen“ werden.
Bei depressiven Krankheitsbildern mit psychotischen oder auch manischen Symptomen (Zwangsgedanken, Wahnvorstellungen) müssen die Patienten zusätzlich mit anti-psychotisch wirksamen Arzneimitteln (auch bekannt unter der Bezeichnung „Neuroleptika“) behandelt werden.5
Diese Wirkstoffe nehmen Einfluss auf den Botenstoff Dopamin, indem sie dessen Andockstellen (Rezeptoren) im Gehirn besetzen und somit für Dopamin blockieren. Aus der Vielzahl der verfügbaren Antipsychotika seien hier beispielhaft nur einige Namen genannt: neuere Wirkstoffe sind Aripriprazol, Amisulprid, Clozapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon; ältere Neuroleptika sind beispielsweise Fluspirilen, Melperon, Pipamperon, Chlropromazin oder auch Perazin. Sie werden teilweise auch als Depotspritze in einen Muskel verabreicht.
Aus der Wirkweise dieser Arzneimittel, der Verminderung der Dopamin-Wirkung, ergibt sich auch deren typische Nebenwirkung, die Auslösung parkinson-artiger Bewegungsstörungen (Dyskinesien). Bei den verschiedenen Wirkstoffen sind diese Nebenwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt.
Die Behandlung und Vorbeugung manischer Episoden bei bipolaren Störungen erfolgt klassisch mit Lithium-Präparaten (Hypnorex, Quilonum).
Lithium nimmt in vielfältiger Weise Einfluss auf die Signalübertragung im Nervensystem und beeinflusst u.a. die Neurotransmitter Serotonin und Dopamin. Es besitzt eine sehr geringe therapeutische Breite, das heißt es kann schnell zu Vergiftungserscheinungen kommen, wenn die ideale Wirkstoffkonzentration im Blut auch nur geringfügig überschritten wird. Um eine Lithium-Intoxikation zu vermeiden, muss daher der Medikamentenspiegel engmaschig überwacht werden. Bei Absetzen der Therapie muss Lithium durch langsames Verringern der täglichen Dosis ausgeschlichen werden.6
Wie man anhand der kurzen Übersicht über die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten depressiver Krankheitsbilder unschwer erkennen kann, handelt es sich mit Ausnahme der im 1. Teil genannten pflanzlichen Beruhigungsmittel Passionsblume, Baldrian, Hopfen und Melisse um hochpotente Wirkstoffe, deren Dosierung und Therapiesteuerung nur in die Hand erfahrener Fachärzte gehört. Patienten sollten nur in Absprache mit ihrem Arzt und keinesfalls eigenmächtig Änderungen an dem verordneten Therapieschema vornehmen.
Nach Zahlen des Robert Koch-Instituts erkranken etwa 11% der Deutschen in ihrem Leben an einer vom Arzt diagnostizierten Depression, die tatsächliche Erkrankungsrate liegt vermutlich deutlich höher. Für viele Betroffene ist eine gewisse Hemmschwelle vorhanden, ihre negativen Gefühle als Krankheit zu erkennen, zu akzeptieren und sich ärztliche Hilfe zu suchen. Von den geschätzt vier Millionen Menschen in Deutschland mit behandlungsbedürftiger Depression sind viele nicht in ärztlicher Therapie.2